Es war mein Geburtstag. Kein Tag für Torte, sondern für etwas, was mehr nach innen geht: ein Besuch in der Joseph-Beuys-Ausstellung in Magdeburg. Ich war dort mit meiner Frau und einigen meiner Kinder – Menschen, die nicht nur mein Leben teilen, sondern auch meine Haltung. Wir alle kennen Beuys, seine Gedanken, seine Projekte. Für uns ist er kein ferner Künstler, sondern ein lebendiger Teil unserer Gespräche, unserer Geschichte, unserer gemeinsamen Suche nach einer anderen Gesellschaft.
In der Ausstellung blieb ich wie angewurzelt stehen, als ich die Gründungsurkunde des Omnibus für direkte Demokratie sah. Ich hatte sie fast vergessen – und doch war sie sofort wieder da, die Zeit, in der ich selbst mit diesem weißen Bus unterwegs war. Ich erinnere mich an den Omnibus auf dem Marktplatz in Genthin, wo ich aufgewachsen bin. An Gespräche mit alten Schulfreunden, mit skeptischen Bürgern, mit neugierigen Jugendlichen. Ich erinnere mich an eine Station auf dem Parkplatz in Güsen, wo die Gespräche leiser, aber nicht weniger bedeutsam waren. Und an den Kleinbahnhof, wo wir in aller Frühe diskutierten, ob Demokratie von unten überhaupt noch eine Chance hat.
Diese Momente sind für mich keine Fußnoten, sondern Bausteine meiner Biografie. Und so stand ich nun, viele Jahre später, mit meiner Familie vor diesem Dokument – nicht in Nostalgie, sondern in Bewegung. Meine Kinder wissen, dass dieser Omnibus nicht einfach ein Fortbewegungsmittel war, sondern ein Symbol. Für Mut, für Gespräch, für die Möglichkeit, dass jeder Mensch Verantwortung übernehmen kann – genau das, was Joseph Beuys meinte, als er sagte: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“
Heute lebe ich diese Idee weiter – in meiner Arbeit als Lehrer, in meinen Projekten mit Kindern, in meinem politischen Denken. Und vielleicht ist es das größte Geschenk an diesem Geburtstag, dass meine Familie diesen Weg mit mir geht. Dass wir gemeinsam spüren: Die Gedanken von Beuys sind keine Museumsstücke. Sie leben weiter, wo Menschen sich aufmachen, neu zu denken.
Das Foto, das an diesem Tag entstand, zeigt mich neben einem Porträt von Beuys. Ich trage – ganz bewusst – Weste und Hut. Es ist der Ausdruck meiner Haltung. Ich stehe da nicht neben einem Kunstwerk, sondern in einer Idee. In einem Raum, der sich für mich von Genthin über Güsen bis nach Magdeburg zieht. Ein Raum, in dem Familie, Kunst und Politik sich nicht ausschließen, sondern einander tragen.
Geburtstag mit Beuys – das hieß für mich in diesem Jahr: innehalten, erinnern, danken. Und vor allem: weitermachen.
Warum ich vom Rechtsanwalt zum Grundschullehrer wurde – und was das mit gesellschaftlichem Wandel zu tun hat
2014 wurde ich als Neuland-Gewinner der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet. Ich hatte Projekte entwickelt, die sich mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Problemen beschäftigten – vor allem mit dem Geldsystem, Fragen demokratischer Teilhabe und der Rolle zivilgesellschaftlicher Bewegung. Ich wollte Veränderung anstoßen – nicht theoretisch, sondern praktisch, konkret, erfahrbar. Zugleich arbeitete ich über 25 Jahre als Rechtsanwalt. Ich kannte die Spielregeln des Systems, konnte sie analysieren und anwenden. Ich wusste, wie Sprache Realität schafft, wie Recht schützt – aber auch, wie es an Grenzen stößt, wenn Haltung fehlt. Doch irgendwann stellte ich mir eine einfache, unbequeme Frage: Wo beginnt eigentlich Veränderung wirklich?
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