Dort, wo fünfundzwanzig Jahre lang mein Kanzleischild hing – gut sichtbar für Mandantinnen und Mandanten, für Nachbarn, für Passanten – hängt jetzt eine schwarze Folie. Mit einfachen Kordeln befestigt, spannt sie sich über den Rahmen wie ein Vorhang. Kein Name mehr. Keine Berufsbezeichnung. Kein Hinweis auf das, was hier einmal war. Diese Abdeckung ist kein Zufall. Sie ist bewusst gewählt. Sie ist nicht das Ergebnis eines Umzugs, keiner Renovierung und auch keiner Übergangsphase. Sie ist Ausdruck eines Entschlusses: Ich beende meine Tätigkeit als Rechtsanwalt. Doch dieser Schritt geschieht nicht im luftleeren Raum. Er ist Teil eines größeren Zusammenhangs – einer gesellschaftlichen Entwicklung, die mich beunruhigt, ja sogar erschüttert. Seit Jahren beobachte ich eine Erosion des Vertrauens in den Rechtsstaat. Die Vermischung von politischen Interessen, ökonomischen Zwängen und juristischen Instrumenten hat Formen angenommen, die ich mit meinem Gewissen nicht mehr mittragen ...
Warum ich vom Rechtsanwalt zum Grundschullehrer wurde – und was das mit gesellschaftlichem Wandel zu tun hat
2014 wurde ich als Neuland-Gewinner der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet. Ich hatte Projekte entwickelt, die sich mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Problemen beschäftigten – vor allem mit dem Geldsystem, Fragen demokratischer Teilhabe und der Rolle zivilgesellschaftlicher Bewegung. Ich wollte Veränderung anstoßen – nicht theoretisch, sondern praktisch, konkret, erfahrbar. Zugleich arbeitete ich über 25 Jahre als Rechtsanwalt. Ich kannte die Spielregeln des Systems, konnte sie analysieren und anwenden. Ich wusste, wie Sprache Realität schafft, wie Recht schützt – aber auch, wie es an Grenzen stößt, wenn Haltung fehlt. Doch irgendwann stellte ich mir eine einfache, unbequeme Frage: Wo beginnt eigentlich Veränderung wirklich?